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Sandra Jungmann
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Craig Dillon

Essay

Die sieben Jahreszeiten

Blütezeiten verschieben sich nach vorne, der Sommer wird immer heißer, und manchmal tragen Bäume und Pflanzen im Herbst Knospen: Der Klimawandel ist längst angekommen. Die vier Jahreszeiten? Schon lange nicht mehr das, was sie einmal waren. Müssen wir unseren Jahreskreislauf neu schreiben? Und was bedeutet das für Flora und Fauna?

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Wer in Österreich etwas über unseren Jahres­kreis erfahren will, der muss nicht unbedingt ins Kunsthistorische Museum in Wien stapfen, aber der kann: Im ersten Stock, ganz vorne an der Stirnseite, hängen zwei Bilder von Giuseppe Arcimboldo – der Sommer und der Winter. 1563 hatte der kaiserliche Hofmaler im Auftrag der Wiener Herrscher eine Serie von Jahreszeitenbildern gemacht, vier Gesichter, die alle nach rechts aus dem Bild schauen und die zur Gänze aus Pflanzenteilen und Früchten bestehen, die zu dieser Jahreszeit tonangebend sind. Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt es von Arcimboldo, alle Bilder funktionieren nach dem gleichen Prinzip, sie sind ungemein ausdrucksstark, und jeder hat diese Bilder irgendwann schon mal gesehen, weil sie sich als kulturelles Erbe in unsere Kultur eingebrannt haben. 

Frühling, Sommer, Herbst und Winter, das sind einfach seit vielen Jahrhunderten unumstößliche Gesetzmäßigkeiten unseres Lebens, die vier Jahreszeiten prägen uns und unseren Jahreskreis, wir kennen sie aus Kinderabzählreimen genauso wie aus der Musik von Antonio Vivaldi, wir kennen sie aus der Kunst und dem Fernsehen. Unser ganzes Leben ist danach ausgerichtet, und nicht nur unseres, auch das der Pflanzen und der Tiere. Aber was, wenn das alles aus den Fugen gerät?

Denn etwas stimmt da draußen nicht mehr, und um das zu bemerken, muss man kein:e Wissenschaftler:in sein, es reicht, aus dem Fenster und auf den Wetterbericht zu schauen. Im Winter bleiben die Berge grün, im Jänner haben wir zweistellige Plusgrade, Mitte Februar treiben schon die ersten Pflanzen aus, manche von ihnen blühen sogar schon Wochen vor dem kalendarischen Frühlings­beginn am 20. März. Die Zahl der Tropennächte im Sommer steigt und Ende Oktober ist es manchmal so mild, dass die Kastanien wieder Blüten tragen. 

Der Klimawandel ist voll im Gange: Seit den 1980er-­Jahren steigt die Temperatur um 0,5 Grad pro Dekade an – heute ist es bei uns in Österreich um zwei Grad wärmer als noch in den 70ern. „Besonders zu Jahresanfang sind die Folgen davon deutlich zu spüren“, sagt Herbert Formayer, Professor am Institut für Meteorologie und Klimatologie an der Universität für Bodenkultur in Wien.

 
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„Die Winter werden milder und deshalb kürzer, der Frühling beginnt früher, das heißt, Pflanzen treiben zeitiger aus.“ Auch mit dem Sommer sind wir mittlerweile früher dran als noch vor einigen Jahren. „Während der Mai früher ein klassischer Frühlingsmonat war, haben wir da mittlerweile häufig Temperaturen von rund 30 Grad. Normalerweise hat es im Mai auch relativ viel geregnet, das war wichtig, damit der Boden für die heißen Monate noch einmal Wasser speichern kann.“ Formayer forscht mit seinem Team seit rund dreißig Jahren zu den Folgen des Klimawandels in Österreich und weiß, dass das, was wir in der ersten Jahreshälfte jetzt schon spüren, in weiterer Folge vor allem in der zweiten Jahreshälfte zu einem Problem wird. „Weil der Niederschlag über das Jahr gerechnet zwar nicht weniger wird, aber sich eben ganz anders verteilt, steuern wir in den Monaten Juli und August im Extremfall auf eine heftige Trockenzeit zu.“ Die Folgen? Temperaturen bis zu 40 Grad, massiv trockene Böden, Pflanzen, die in Hitzestress fallen, verdorren und ihr Wachstum einstellen. Mitte September wären wir immer noch im Spätsommer, fällt dann wieder ein bisschen Regen, treiben Pflanzen und Bäume noch einmal aus, statt des Herbstes käme ein zweiter Frühling also, mitten im Oktober, aber nur deshalb, weil Bäume und Pflanzen ihr Überleben sicherstellen wollen – während es danach, im November und Dezember, monsunartig vom Himmel regnen würde. Winter? Ja, schon – aber nur mehr im Jänner und Anfang Februar. Vier Jahreszeiten? In der Kunst und Kultur stimmt das noch, aber in der Praxis kommen zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit ziemlicher Sicherheit eine Trockenzeit, ein zweiter Frühling und eine Regenzeit dazu. Aus vier mach’ sieben also, und laut Herbert Formayer könnte das schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts passieren.

Aber wie stellen sich Pflanzen und Bäume auf diese Entwicklung ein? Können sie lernen, sich diesen Widrigkeiten anzupassen?

Szenenwechsel: Manfred Lexer lehrt auch an der Universität für Bodenkultur, aber am Institut für Waldbau im 18. Wiener Gemeindebezirk, ein paar Straßen von Herbert Formayer entfernt. „Grundsätzlich“, sagt er, „sind bei uns fast alle wichtigen Pflanzen- und Baumarten von diesen Entwicklungen betroffen, egal, ob Nadelbäume wie Fichte und Tanne oder Laubbäume wie Buche oder Eiche. An die widrigen Umstände können sie sich anpassen – das glaube ich schon. Die Frage ist eher, wie oft ihnen das gelingt.“ Wie genau er das meint? „Um den klimatischen Veränderungen zu begegnen und extreme Temperaturen zu überstehen, müssen Bäume und Pflanzen sehr viel Kraft aufwenden und eigene Reserven verbrauchen.“ Dabei ist es eigentlich ganz egal, welche Jahreszeit man sich in diesem veränderten Kreislauf genauer ansieht – jede dieser Entwicklungen ist ungünstig. „Im Frühling treiben Pflanzen zeitiger aus – das heißt also, noch mehr Triebe als sonst fallen im März oder April dem Spätfrost, der in Zukunft übrigens immer heftiger werden wird, zum Opfer. Szenenwechsel: Manfred Lexer lehrt auch an der Universität für Bodenkultur, aber am Institut für Waldbau im 18. Wiener Gemeindebezirk, ein paar Straßen von Herbert Formayer entfernt. „Grundsätzlich“, sagt er, „sind bei uns fast alle wichtigen Pflanzen- und Baumarten von diesen Entwicklungen betroffen, egal, ob Nadelbäume wie Fichte und Tanne oder Laubbäume wie Buche oder Eiche. An die widrigen Umstände können sie sich anpassen – das glaube ich schon. Die Frage ist eher, wie oft ihnen das gelingt.“ Wie genau er das meint? „Um den klimatischen Veränderungen zu begegnen und extreme Temperaturen zu überstehen, müssen Bäume und Pflanzen sehr viel Kraft aufwenden und eigene Reserven verbrauchen.“ Dabei ist es eigentlich ganz egal, welche Jahreszeit man sich in diesem veränderten Kreislauf genauer ansieht – jede dieser Entwicklungen ist ungünstig. „Im Frühling treiben Pflanzen zeitiger aus – das heißt also, noch mehr Triebe als sonst fallen im März oder April dem Spätfrost, der in Zukunft übrigens immer heftiger werden wird, zum Opfer.

Also müssen sie später noch einmal austreiben, und zwar ziemlich schnell, weil sie dann im darauffolgenden Sommer zum Problem: Das Wasser fehlt in der Trockenzeit. Und so geht es immer weiter, im neuen Jahreskreislauf. „Ein Jahr lang schafft die Pflanze so einen ,Kraftaufwand‘ leicht“, sagt Lexer. „Aber auf längere Sicht ist das eher unwahrscheinlich.“ Eine der wenigen Arten, denen diese Entwicklungen relativ wenig ausmachen werden, sind Wiesen­blumen. „Dass man Gänseblümchen und Klee auch im Oktober oder November sehen wird, daran werden wir uns gewöhnen müssen“, sagt Lexer.

Während die jahreszeitlichen Veränderungen für die Pflanzenwelt massiv sein werden, tun sich die Tiere ein bisschen leichter – vor allem die Säugetiere. „Sie sind üblicherweise recht robust“, sagt Herbert Formayer. Wirklich sensitiv sind vor allem Insekten – sie sind enorm abhängig von der Außentemperatur. „Bei geänderten Klimabedingungen wandern sie relativ rasch ab, da wird es zum Einwandern von Arten kommen, die aus dem feuchtwarmen Westen sind.“ Das wiederum ist für gestresste Nadelbäume eine Gefahr. Geraten sie regelmäßig in Trockenstress und müssen ihre Ressourcen in ihr Überleben stecken, werden sie anfälliger für Schädlinge wie Pilze oder den Borkenkäfer. Letzterer profitiert in Zukunft auch von der extremen Hitze, er wird sich dadurch noch viel schneller vom Ei zum fertigen Käfer entwickeln, als es jetzt der Fall ist.

Auch Stefan Schörghuber, Leiter der Stabsstelle Wald-Naturraum-Nachhaltigkeit bei den Österreichischen Bundesforsten, beobachtet ähnliche Entwicklungen wie die Wissen­schaftler:innen. „Im Wald merken wir zum Beispiel, dass sogenannte ,Mastjahre‘ immer häufiger vorkommen. Das sind Jahre, in denen es übermäßig viel Zapfenbehang und Blüten an den Bäumen gibt“, so Schörghuber. „Damit geben Nadelbäume ihre Samen weiter.“ Während das früher alle sechs bis sieben Jahre der Fall war, kommt das mittlerweile alle zwei Jahre vor, sagt Schörghuber. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass einzelne Bäume oder ganze Wälder unter einer Stresssituation leiden und noch rasch ihre Samen weitergeben wollen. Auch die Arbeit mit der Natur verändert sich für Stefan Schörghuber und seine Kolleg:innen im Hinblick auf die Verschiebung der Jahreszeiten. Vorkehrungen müssen schon jetzt getroffen werden, kurzfristig kann man den „neuen Jahreszeiten“ nichts entgegensetzen. „Wir arbeiten auf 100, 150 Jahre – nicht von heute auf morgen. Man kann viel lenken, solange ein Wald noch jung ist, aber bis er darauf reagiert oder Maßnahmen annimmt, dauert es.“ Wie genau diese „Steuerungsmöglichkeiten“ aus­sehen? „Wenn wir in einen Jungwald rein­gehen, schauen wir, dass wir die Fichten rausnehmen und dafür die Lärchen besonders fördern, weil sie für den klimafitten Wald eine langfristigere Perspektive sind.“ Auch beim Pflanzen von Jung­bäumen hält man sich mittlerweile an das Motto „Better be safe than sorry“: „Im Frühjahr haben wir in den vergangenen Jahren rund 1,4 Millionen Jungbäume gepflanzt“, sagt Schörghuber. Früher habe das gereicht. Weil das Klima aber unberechenbarer geworden ist, Frost, Nieder­schläge oder Trockenheit einen Teil der Arbeit zunichtemachen, werden im Herbst wieder Anpflanzungen gemacht. So splittet man das Risiko. Auch die Zeit der Holzernte hat sich mittlerweile komplett verändert. Früher wurde Holz im Winter geerntet, weil der gefrorene Boden genug Stabilität und somit ideale Bedingungen dafür geliefert hat – heute sind die Winter so mild, dass man damit lieber auf den Sommer wartet, wenn der Boden richtig trocken ist.

Fakt ist: Besonders die Pflanzenwelt steht mit diesen Entwicklungen vor einer großen Herausforderung. Manche von ihnen werden wir verlieren – mit hoher Wahrscheinlichkeit sind das jene, die immer schon stark an unseren bisherigen Jahreszyklus gebunden waren und die mit den geänderten Bedingungen ihr Temperatur­limit erreichen. Andere könnten verdrängt werden, und zwar von jenen, die von unten nach oben wandern, wo sie adäquatere klimatische Bedingungen vorfinden und konkurrenzfähig bleiben. Aber so genau kann das noch keiner sagen. 

Und wer weiß, vielleicht wird man doch irgend­wann vor Giuseppe Arcimboldos Jahres­zeiten-Serie stehen und sich daran zurückerinnern, wie das damals so war, mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und vielleicht gibt es dann schon einen neuen Vivaldi, der jetzt noch nicht einmal geboren ist und dann „Die sieben Jahreszeiten“ komponiert. Wie Trockenperiode, zweiter Frühling und Regenzeit klingen? Das wollen wir vielleicht lieber gar nicht wissen. 

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Sandra Jungmann

hat von ihrer Tochter, 8, zufällig ein selbst gemaltes Bild der vier Jahreszeiten geschenkt bekommen, während sie für diese Geschichte recherchiert hat. Es hängt jetzt am Kühlschrank. Und jedes Mal, wenn sie es ansieht, ist ihr ein bisschen mulmig zumute.

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