Fritz Grashäftl in Ebensee, Wetterstation
Der Berg als Berufung: Seit 40 Jahren arbeitet Fritz Grashäftl auf der Wetterstation Feuerkogel.

Es ist kurz vor 14 Uhr an diesem Freitagnachmittag und auf der Wetterstation am Feuerkogel sitzt Fritz Grashäftl an seinem Schreibtisch, bereit, das Festnetztelefon abzuheben, das gleich läuten wird. Er hat ein kleines Büchlein aufgeschlagen und einen Zettel vor sich liegen, auf dem er jenen Zahlencode eintragen wird, den er auch gleich dem Anrufer nennen wird; einen Code, mit dem Laien nicht mal wenig, sondern rein gar nichts anfangen können. Seit 40 Jahren macht er das so, zu jeder vollen Stunde. Um sechs Uhr in der Früh das erste und um 21 Uhr das letzte Mal.

Grashäftl ist einer von vier Wetterbeobachtern Österreichs. Er ist kein Meteorologe, das betont er, das ist ihm wichtig. Er gibt Wetterdaten weiter, ja, aber – und das sei der große Unterschied, sagt er – er interpretiere sie nicht. Wie jeden Tag sitzt auch heute am anderen Ende der Telefonleitung jemand von der Austro Control, also der österreichischen Flugsicherheitsbehörde. Die Codes, die Grashäftl stündlich kommuniziert, geben Auskunft über die Wetterdaten, die für den Flugverkehr und die Flugsicherheit wichtig sind. Grob übersetzen kann man den Code, den Grashäftl an diesem Freitagnachmittag durchgibt, mit „Nebel, Himmel unsichtbar, Raufrost absetzend“ – und wenn man aus dem Fenster schaut, trifft es das ziemlich exakt. Das, was Grashäftl hier noch analog macht, passiert nur auf drei weiteren Stationen in Österreich so: auf dem Sonnblick, dem Dobratsch und der Rudolfshütte. Die Wetterexpert:innen dort telefonieren aber nicht nur mit der Austro Control, sie verfassen auch sogenannte synoptische Wettermeldungen, die die Grunddaten für die Wettervorhersagen liefern, dreimal täglich werden außerdem klimatologische Daten erhoben, wie Sonnenscheindauer oder Niederschlagsmengen. Dazu wird auch Tagebuch geführt über alle Wettererscheinungen auf dem Berg, wie etwa Nebel, Wolken oder Sturm. „Der Großteil ist schon automatisiert“, sagt Grashäftl, „aber die Codes sind trotzdem noch eine Spur präziser.“

Fritz Grashäftl in Ebensee
Fritz Grashäftl in Ebensee

Dampfdruck, relative Feuchtigkeit, Niederschlag: Grashäftl kontrolliert und zeichnet alles akribisch in Listen auf. Seit 1931 wird das am Feuerkogel so gemacht.

Eine Stunde Zeit hat der 67-Jährige jetzt, bevor das Telefon das nächste Mal klingeln wird. Er steht von seinem Schreibtisch auf und stapft vier Schritte in Richtung Küche, wobei Küche vielleicht ein bisschen übertrieben ist, Kochnische trifft es eher. Er nimmt einen Schluck von seinem schwarzen Tee, schnappt sich einen Bleistift und macht sich Notizen. Alle zwei Wochen ist Grashäftl, der eigentlich gelernter Elektriker ist und den nur seine Leidenschaft fürs Wetter hierher geführt hat, eine ganze Woche durchgehend hier oben am Feuerkogel, Tag und Nacht. Er ist eigentlich längst in Pension, aber in Ebensee finden sich keine Jungen, die nachkommen und den Job übernehmen wollen, also macht er einfach weiter. Die Hütte ist voll mit Proviant, den Grashäftl selbst mit der Gondel heraufbringt, das schmale Bett steht im Nebenraum. 

Was macht das eigentlich mit einem, wenn man den Berg und das Wetter alle zwei Wochen 24 Stunden lang erlebt? „Gar nicht so viel“, sagt er sehr pragmatisch und schaut mit seinen wachen Augen aus seiner Brille hervor. „Aber ja, manchmal, wenn es ordentlich stürmt und es gewittert, dann ist das schon eine sehr entrische Stimmung.“ Das Wetter hier am Berg kann schnell umschlagen, besonders stark ist der Wind hier heroben. Bis zu 200 km/h sind am Feuerkogel keine Seltenheit, 1999 fegte der Orkan Lothar sogar mit 218 km/h über den Berg. An solchen Tagen, bei schweren Gewittern oder viel Schneefall, heißt es auch für Grashäftl: Drinnen bleiben, manchmal auch mehrere Tage lang. Ab und zu würden ihn hier heroben auf der Station Schulklassen besuchen, die einen Ausflug machen, viel öfter aber sieht er tagelang keinen Menschen. Vor allem dann, wenn auch die Seilbahn wetterbedingt oder wegen Wartungsarbeiten stillsteht. Wie geht man mit diesen Extremen und dieser Einsamkeit eigentlich um? „So manches Naturspektakel entschädigt dann schon für die Stunden, die man ziemlich alleine hier oben ist“, sagt er ruhig. „Die Sonnenaufgänge hier sind schon eine kleine Sensation und wunderschön.“

30 Minuten noch bis zum nächsten Anruf, Grashäftl zieht sich jetzt sein Stirnband über den Kopf, schlüpft in seine dicke, blaue Daunenjacke, die festen Schuhe und die gefütterten Handschuhe. Er steigt die wenigen Stufen hinunter ins Freie und stapft durch den Schnee in Richtung Messgeräte. Die hätte er auch direkt von seinem Fenster aus im Blick, aber er muss Daten ablesen und Sichtweite, Wolkengattungen und Bedeckungsgrad notieren. Und regelmäßig kontrollieren, ob die Geräte auch laufen, wie sie sollen.

Seit 1931 wird hier am Feuerkogel das Wetter beobachtet und aufgezeichnet. Grashäftl hält kurz inne. „Es ist schon ein Privileg, das hier machen zu dürfen. Niemand verbringt so viel Zeit mit dem Berg, das ist etwas Besonderes.“
Zehn Minuten noch, bis das Telefon wieder läuten wird, und man hat das Gefühl, dass Grashäftl jetzt ein klein wenig Stress bekommt. Er verabschiedet sich, dreht sich um – und stapft flott durch den Schnee, zurück zu seinem Schreibtisch.

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