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Markus Huber
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Linda Zimmermann

Pride

Tier und Queer

Sexualität muss nicht an Geschlechtergrenzen haltmachen. Das wissen Tiere mindestens genauso gut wie wir Menschen. Sie gehen damit nur sehr viel entspannter um. 

01 Aufmacher

Es war der griechischische Universalgelehrte Aristoteles, der um 350 vor Christus zum ersten Mal davon Notiz nahm und sich dachte: Moment, das ist jetzt interessant. Er hatte Tauben, Rebhühner und Wachteln beim Sex beobachtet und festgestellt, dass da nicht immer nur die Männchen mit den Weibchen zugange waren. Als aufgeschlossener Grieche erschien ihm das moralisch nicht verwerflich, im Gegenteil, aber interessant war es schon: Ging es also auch bei Tieren in Sachen Sex nicht immer nur um die Fortpflanzung?
Es gibt sehr wenig Forschung und Studien­material zu gleichgeschechtlichen Paarungen im Tierreich. Rein evolutionsbiologisch ge­sehen sind sie für die Forscher:innen ein ziemliches Rätsel, ein sogenanntes „Darwinsches Paradoxon“, denn ganz offensichtlich dienen sie ja nicht dem Erhalt der Gattung. Aber warum gibt es sie dann? Manche Forscher:innen meinen, dass es dabei oft um ein Dominanzverhalten geht oder auch um eine Festlegung der Rangordnung in einem Rudel. Wieder andere glauben, dass gleichgeschlechtliche Paarung ein Frustrationsverhalten wäre, weil zu wenig Weibchen verfügbar wären. Aber all das sind Binsenweisheiten, die keine:r der Forscher:innen bislang abschließend beantworten konnte. Vor allem, weil es ja auch um die Frage geht, ob sich Tiere auch aus einem anderen Grund als dem Zeugen von Nachkommen miteinander paaren. Das Einzige, was man bisher herausfinden konnte, ist Folgendes: Gleichgeschlechtliche Interaktionen sind unter Tieren ganz normal.

Bei mehr als 1.500 Arten sind bisher homosexuelle Aktivitäten festgestellt worden, bei manchen Arten sind bis zu 20 Prozent der männlichen Tiere homosexuell, und es gibt dabei, wie bei den Menschen, alle erdenklichen Spielarten: Lebenslange Partnerschaften unter den Männchen gibt es genauso wie One-Night-Stands aus Jux und Tollerei. Manche Tiere sind für eine Saison liiert, andere wieder nur für die Aufzucht von Jungen, denn ja, auch das gibt es – Graugans-Männchen ziehen zum Beispiel gerne Nachwuchs auf, den sie von einer Art Leihmutter legen lassen. 

Bislang wurden von Wissenschaftler:innen mehrheitlich männliche Paarungen beobachtet, weibliche gibt es auch, sie sind aber seltener, nur bei den Säuge­tieren ist das ein bisschen anders: Hier wurden bei 261 Arten gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten festgestellt, bei immerhin 52 Prozent davon gibt es sowohl männliche als auch weibliche Paare.
Fast noch häufiger gibt es übrigens bisexuelles Verhalten, und zwar sowohl bei jungen Tieren, die quasi mit gleichaltrigen Artgenoss:innen mal herumprobieren, bis sie in die große weite Welt des Zeugungsakts vorstoßen, als auch bei älteren Tieren. Spannend ist das übrigens bei Pinguinen: Die sind gerne über mehrere Jahre in männlichen gleichgeschlechtlichen Paarungen unterwegs, bis einer den anderen verlässt – für ein jüngeres, paarungs­bereites Weibchen.

02 HausschafeWM

Hausschaf

Ich bin schwul und das ist gut so

Bis zu zehn Prozent einer Schafherde sind homosexuell, und sie bleiben das ein Leben lang. Also ganz egal, wie groß die Herde ist, ganz egal, wie viele weibliche Schafe mit ihnen um das Bauernhaus ziehen, jedes zehnte männliche Schaf hat nur mit Geschlechtsgenossen Sex. Weitere zwanzig Prozent der männlichen Hausschafe sehen das ein bisschen lockerer: Sie sind offen bisexuell – das Angebot bestimmt bei ihnen die Nachfrage. 

Graugans

Pärchen mit Leihmutter

Graugänse sind ganz besonders treue Tiere, sie bleiben ein Leben lang mit ihrem Partner zusammen – und bei 20 Prozent der männlichen Gänse ist dieser Partner ebenfalls ein „Er“. Die beiden putzen sich gegenseitig die Federn, bauen miteinander ein Nest, sie kopulieren miteinander und manchmal organisieren sie sich aus Nachbarnestern ein Ei, um selbst ein Küken aufzuziehen. Selten, aber doch wurde bereits beobachtet, dass sich männliche Graugänse eine Leihmutter organisieren – die wird dann von einem der beiden Gänse befruchtet und bleibt, bis das Junge schlüpft, im Nest. 

03 GraugansWM
04 FruchtfliegeWM

Fruchtfliege

Ich nehm’, was kommt

Fruchtfliegen sind schwer auseinander­zuhalten, für uns Menschen sowieso, aber auch für die Fruchtfliegen selbst. Ist das jetzt ein Männchen oder ein Weibchen? Da sind sich selbst Fliegen oft nicht sicher, und deswegen kann es passieren, dass eine männliche Fruchtfliege versucht, eine andere männliche Fruchtfliege abzuschleppen. 

Iltis

Ein guter Freund für ein paar Minuten

Der Europäische Iltis ist ein ziemlicher Eigenbrötler. Er ist ein Einzelgänger, lebt am liebsten auf sich allein gestellt, ohne gesellschaftlichen Kontakt zu anderen Artgenossen. Nur manchmal, dann überkommt ihn die Paarungswut. Und das kann durchaus auch mit anderen Männchen passieren, falls gerade kein Weibchen seine Eigenbrötlerwege kreuzt. Nach dem Akt gehen die beiden Iltisse übrigens sofort wieder getrennte Wege. 

07 IltisWM
06 StockenteWM

Stockente

Bis dass das Ei euch scheidet

Beziehungen mit dem anderen Geschlecht? Stockenten sagen da ganz klar: Nein! Bei den Weibchen bleiben männliche Stockenten nur so lange, bis diese ein Ei gelegt haben. Dann verschwinden sie und hängen lieber mit ihren Jungs ab. Jede fünfte Stockente führt nach der Zeugung eine Beziehung mit einer anderen männlichen Ente. Sex inklusive – nur ohne Fortpflanzungsdruck. 

Insekten

Was bist denn du?

Bei insgesamt 110 Insektenarten sind mittlerweile homosexuelle Paarungen nachgewiesen, und zwar bei Tieren aller möglichen Größen, von Bettwanzen bis zu diversesten Libellenarten. Bei den meisten aber ist es ein Fehler: Männchen halten andere Männchen versehentlich für ein Weibchen. So lange, bis es zu spät ist.

08 InsektenlehreWM
09 StelzenlaeuferWM

Stelzenläufer

Freundin mit Benefits

Über die Männchen ist bei diesen seltenen Vögeln wenig bekannt, dafür haben sich die Weibchen hier einiges zu sagen. Bei jeder vierten Stelzenläuferpopulation gibt es weibliche Pärchen. Diese bleiben in der Regel eine Saison zusammen, bevor sie sich in der nächsten Saison eine neue Freundin suchen. Häufig brüten diese weiblichen Pärchen auch gemeinsam Eier aus, zumindest eine muss sich davor also mit einem Männchen getroffen haben. 

Weiterlesen?

Wissenschaft

wald #53

Lasst uns reden!

Eine Reihe von Forscher:innen arbeitet gerade daran, die Sprache der Tiere mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu entschlüsseln. Und sie sind sich sicher: Mit etwas Glück könnten wir uns schon bald mit ihnen unterhalten. Bloß: Was würde das für den Menschen bedeuten? Und was für die Tiere?

Mensch und Natur

BEST-OF, wald #23

Wuff, wuff, peng

Sie verbringen viel Zeit zusammen, sind Kollegen und beste Freunde. Ihre Routinen haben sie aufeinander abgestimmt, sie verstehen sich, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Man sieht sie praktisch nie allein: Jäger und ihre Hunde.

Immobilien

wald #42

Wohnen im Wald – Wo die Vielfalt zu Hause ist

Willkommen bei WALD Real Estate, der besten Immo-Gruppe, wenn es um ein ideales Leben in der Natur geht. Tauchen Sie ein in die Vielfalt der Wohnwelt WALD!