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Julia Karzel
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Craig Dillon

Liebe

Pflanzen auf Aufriss

Bunte Blüten sind für Anfänger. Es gibt aber viele Pflanzen, die wahre Profis sind, wenn es ums Aufreißen geht. Sie täuschen ihre Bestäuber, um sie rumzukriegen. Sie gaukeln ihnen vor, eine Geschlechtsgenossin, ein Brocken Fleisch oder ein tödlich verwundetes Tier zu sein. Wir präsentieren: Die Anmachtricks der Blumen.

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Als der Biologe Hannes Paulus vor Jahrzehnten aufschnappte, dass sich die Orchideengattung Ophrys in Spanien offenbar mithilfe einer perfiden Täuschung fortpflanzte, war er fasziniert. Der Hypothese nach schaffte es die Pflanze, männlichen Bienen erfolgreich vorzugaukeln, eine Geschlechtsgenossin zu sein. Die Insekten versuchen eifrig, die Blüte zu begatten, lassen nach ein paar Fehlversuchen verwirrt von ihrem Vorhaben ab – nur um sich gleich wieder von der nächsten Orchidee reinlegen zu lassen. Und schon sind die Pollen im Umlauf. Ein befreundeter Pflanzenphysiologe, dem Hannes Paulus von dieser verrückten Geschichte erzählte, war herzlich unbeeindruckt. „So ein Schwachsinn“, konstatierte der ungläubige Botaniker und in Paulus erwachte der Ehrgeiz, der wundersamen Orchideenfortpflanzung auf den Grund zu gehen. Kurz entschlossen buchte er zusammen mit Mitstudenten eine Neckermann-Pauschalreise nach Andalusien.

Heute, als emeritierter Uni-Professor, lacht Hannes Paulus über diese spontane Expedition, die sein Leben nachhaltig geprägt hat. Der Biologe hat in Andalusien dann tatsächlich in freier Wildbahn die Scheinkopulation beobachtet – und bald auch in heimischen Gefilden. Denn zurück in Österreich ließ Paulus die Begeisterung für die betörende Blume nicht los. Er entdeckte in jahrzehntelanger Forschung die Bedeutung von Blütenform, Duftstoffen und Musterung, die die Orchidee kunstfertig zu einem unwiderstehlichen Insektenlockmittel komponiert.

So raffiniert wie die Orchidee sind nicht alle Pflanzen – doch die meisten haben findige Strategien entwickelt, um ihre Arterhaltung sicherzustellen. Von Natur aus sind Pflanzen an einen Standort gebunden und deshalb überwiegend auf ein Überträgermedium angewiesen, um sich fortzupflanzen. Vor etwa 200 Millionen Jahren, zur Blütezeit der Nadelbäume und Farngewächse, war dieses Überträgermedium hauptsächlich der Wind. Auch heute noch werden weltweit knapp zehn Prozent der Pflanzen durch den Wind bestäubt – beispielsweise Kulturpflanzen wie Reis und Getreide. Mit der Entstehung der Blütenpflanzen begann die Ära der Tierbestäubung. Fledermäuse, Vögel, kleine Nagetiere und vor allem Insekten dienen den Pflanzen als Pollentransporteure. Die Pflanzen konkurrieren dabei um ihre Bestäuber wie in der Werbung: Je auffälliger und prachtvoller die Blüten, desto wahrscheinlicher werden Tiere angelockt. Dabei sind erstaunliche Spezialisierungen entstanden, damit die richtige Kundschaft an Bestäubern angesprochen wird. Da Bienen im Violettbereich gut sehen, markieren beispielsweise Veilchenblüten den perfekten Landeplatz mit UV-Mustern. Hummeln steuern am liebsten sattes Gelb und Blau an, Schmetterlingsblüten sind hingegen häufig rot, weil die Falter diese Farbe besser wahrnehmen als andere Insekten. Pflanzen, die in der Nacht bestäubt werden, blühen zumeist weiß, damit sie Nachtfalter und Fledermäuse in der Dunkelheit besser wahrnehmen können.

Nicht nur die Farbe, auch der Aufbau einer Blüte ist an ihren jeweiligen Bestäuber angepasst. Denn die Pflanze möchte nicht nur sicherstellen, dass sie von geeigneten Tieren beglückt wird, sondern dass ihre Pollen auch verteilt werden – und nicht nur vertilgt. So bietet der Salbei als klassische Bienenblume den Insekten eine einladende lippenförmige Landefläche. Ist die Biene eingetrudelt und in den Schlund gekrochen, biegen sich über ein Gelenk die Staubblätter nach unten und bestäuben das Insekt. Und zwar vor allem am Rücken, wo sich die Biene schwer abputzen kann. Lupinen wiederum befördern ihre Pollen mit einem Pumpmechanismus auf die Insekten. Spezifisch für Schmetterlinge haben entsprechende Pflanzen eine enge Röhre entwickelt, die den Rüssel der Insekten bequem zu den Pollen geleitet.

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Eine prachtvolle Farbe und eine einladende Form von Blüten sind zwar gute Argumente für die Insekten, aber nicht das Hauptkriterium. Denn diese Symbiose von Tier und Pflanze basiert eigentlich auf einem Tauschgeschäft: Für ihre „Dienstleistung“ werden die Bestäuber mit eiweißreichen Pollen und süßem Nektar belohnt, die sie als Energiequelle und zur Brutpflege benötigen. Je mehr Nektar eine Pflanze einem Bestäuber bietet, umso eher wird sie angeflogen. Auch hier spielt die Farbe öfters eine Rolle: So signalisieren das Lungenkraut oder auch die Rosskastanie ihren Bestäubern mit einem Farbwechsel, ob sich ein Anflug noch auszahlt oder schon andere Tiere Pollen und Nektar abgestaubt haben.

Viele Orchideenarten, weiß Paulus, bieten allerdings keine Belohnung – und werden dennoch brav bestäubt. Denn die Orchideen gehören zu den Täuschpflanzen, die Insekten mit optischen, taktilen und olfaktorischen Reizen alles Mögliche vormachen. „Pflanzen sind die besten Chemiker der Welt“, erklärt Paulus’ Kollege Dr. Yannick Städler das Phänomen. Städler beschäftigt sich ebenfalls seit Jahren mit Orchideen. Er kommt ursprünglich aus der Schweiz und stammt aus einer Familie, die seit Generationen Gärtner hervorbringt. Vermutlich rührt auch daher seine unüberhörbare Leidenschaft für die Wunder der Pflanzenwelt. „Man muss sich das einmal vorstellen, das ist nämlich wirklich cool“, erklärt er mit französischem Akzent. „Die Gattung der Ophrys produziert einen Duftstoff, der in den entscheidenden lockenden Komponenten exakt übereinstimmt mit dem Pheromon des passenden weiblichen Insekts.“ Der Duft lockt die Männchen aus der Entfernung an die Orchideenblüte heran, danach täuscht die Ophrys mit ihrem Erscheinungsbild munter weiter: Die Musterung der Blüte ist der Geschlechtspartnerin des Bestäubers nachempfunden, sogar die blauen Blütenmale sind Kalkül: Sie sehen aus wie die Spiegelungen von zur Schau gestellten Flügeln unbegatteter Weibchen. Ist das Insekt voller Vorfreude auf der Blüte gelandet, zeigen ihm kleine Härchen – genau wie auf dem Leib der Insektendame –, wie es sich positionieren muss. Doch irgendwann kapiert der Bestäuber die Farce. In Feldstudien fanden Paulus und sein Team heraus, dass sich das Spiel zwar wiederholt, das Insekt allerdings dann tendenziell schneller merkt, dass etwas faul ist und irgendwann ganz von den Orchideen ablässt.

Besonders Bienen, aber auch Hummeln sind sehr lernfähig – diese Eigenschaft macht sich auch die Ophrys zunutze, um sich nicht aus Versehen selbst zu bestäuben. Das Insekt merkt sich das individuelle Muster einer Blüte und steuert diese dann kein zweites Mal an. Andere Täuschblumen arbeiten nicht mit Sexuallockstoffen, sondern geben vor, eine Mahlzeit für Bestäuber zu sein. Yannick Städler hat in seinem Büro eine Pflanze namens Fallschirm-Leuchterblume herangezogen, die in freier Wildbahn in Südafrika wächst. Die Blüte sieht tatsächlich aus wie ein hellgrüner Mini-Fallschirm und duftet fruchtig und frisch. Kaum zu glauben, dass dieser Geruch auf eine spezielle Gattung der Nistfliege wirkt wie eine verendende Honigbiene – ein Leckerbissen, dem die Fliege nicht widerstehen kann. „Diese Pflanze veräppelt das Insekt so richtig, indem sie mit seinen Instinkten spielt“, erklärt Städler. Denn zu allem Überfluss wird der Bestäuber, nachdem er bei der Futtersuche hereingelegt worden ist, auch noch bis zu etwa 24 Stunden in der kesselförmigen Blüte der Leuchterblume gefangen gehalten. Die enttäuschte Fliege sucht in dem Kessel dann sowohl nach Nahrung als auch nach einem Ausweg aus der Falle – und erreicht mit ihrem Gekrabbel genau das, was die Pflanze will: Sie wälzt sich in den Pollen und verbreitet sie nach ihrem Entkommen weiter. Diesen Trick können auch heimische Orchideen: Der Frauenschuh lockt Insekten mit einem Geruch, der an reife Marillen erinnert, in sein Inneres. Im Kessel kann das Insekt die öligen Innenwände nicht mehr emporkrabbeln und wird genötigt, durch eine Art Hinterausgang zu entkommen. Dabei muss es sich natürlich an den pollenbedeckten Staubblättern vorbeiquetschen.

Viele dieser Lockstoffe sind für den Menschen nicht einmal wahrnehmbar – manche Pflanzen riechen allerdings sogar für uns sehr intensiv, um nicht zu sagen, sie stinken. Yannick Städler erinnert sich an einen Ausflug in die Sammlung sogenannter Aasblumen in Zürich. „Eine japanische Touristin war überwältigt von der exotischen Schönheit dieser gelb-violetten Blüten, steckte die Nase rein – und tauchte ganz blass wieder auf. Denn die riechen wirklich widerlich – eine Kombination aus verrottendem Fleisch und verfaultem Käse.“ Für Aasfliegen ist der Geruch der kakteenartigen Stapelien, die im artenreichen Südafrika vorkommen, und der des spektakulär blühenden Titanenwurzes aus Sumatra freilich ein Freudenfest. Und wieder brilliert eine Gattung der Orchideen in der Täuschung: Die südafrikanische Orchideenart Satyrium pumilum macht Fliegen so glaubhaft vor, ein verendetes Tier zu sein, dass die weibliche Fliege sogar Eier in der Blüte legt.

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Doch gerade diese hohe Virtuosität bringt Pflanzen in Bedrängnis. Sind Pflanzen stark auf einen bestimmten Bestäuber angewiesen, können Schwankungen der Umwelt das System schon mal durcheinanderbringen, erklärt Gernot Waiss, Ökologe und Naturführer bei den Bundesforsten. „Für diese Symbiose sind Veränderungen des Klimas alles andere als optimal. Pflanzen brauchen eine gewisse Anzahl an Sonnenstunden, um zu blühen. Sind sie damit zu spät dran, bestäuben die Insekten in der Zwischenzeit andere Blüten.“ Auch der Biologe Johannes Neumayer bestätigt: „Spezialisierte Arten sind von Veränderungen immer potenziell stärker betroffen.“ Und diese Veränderungen sind da.

Neumayer ist Spezialist für Hummeln. Neben den Honigbienen geht die Hummel oft ein wenig unter, dabei ist sie als Bestäuber, beispielsweise für Kulturpflanzen wie die Tomate oder die Erdbeere, viel bedeutender. Und genau wie die Zahl der Bienen geht auch die der Hummeln zurück. Steigende Temperaturen lassen die Hummel mehr und mehr nach Norden ziehen. Oft findet sie allerdings in einer Landschaft, die von Monokulturen dominiert ist, kein geeignetes Habitat. Dazu setzen ihr, genau wie der Biene und der Wespe, Pestizide gehörig zu. Studien belegen, dass sowohl die Orientierung als auch die Fortpflanzungsfähigkeit der Insekten durch Saatgutmittel stark beeinträchtigt werden.

Der Rückgang der Hummeln wurde im Obst- und Gemüseanbau schon lange bemerkt. Im Glashaus kann aber zumindest mit gekauften Hummelstaaten gegengesteuert werden. Für Orchideengattungen wie die Hummel-Ragwurz wäre ein Ausfall der heimischen wildlebenden Bestäuber allerdings gravierend. „Orchideen sind sehr langlebig. Deshalb merken wir unmittelbar noch keine Auswirkungen des Bienen- und Hummelsterbens“, meint Professor Paulus. Für Johannes Neumayer wäre die Lösung auf langfristige Sicht internationale Regelungen, die den Einsatz von Insektiziden stärker regulieren und die Biodiversität fördern. Die Bundesforste setzen hingegen einstweilen im Kleinen an und fördern gezielt Bienen- und Hummelpflanzen in ihren Wäldern und an Waldrändern.

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Julia Karzel
besitzt nun einen Steckling, der nach sterbender Honigbiene riecht. Sie findet den Geruch seltsamerweise recht angenehm.

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