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Martina Bachler
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Jonas Geise

Tourismus

Summcity

In Kleinarl am Kleinarlbach liegt eine Metropole, die nur den wenigsten Menschen bekannt ist. Dabei hat sie nicht nur kulturhistorisch Bedeutung: In ihr entscheidet sich nicht viel weniger als die Zukunft ganzer Völker.

SummCity WIP1 CS5

Die gefährlichsten Momente in SummCity gibt es kurioserweise in den frühen Morgenstunden. Dann, wenn die Sonne noch tief steht, kommen sie aus den umliegenden Bergwäldern. Man hört sie schon von weitem, das allein wirkt bedrohlich, aber erst, wenn man sie dann sieht, ist die Gefahr zum Greifen nah – oder besser: zum Davonlaufen. In Riesenschritten hasten sie durch SummCity, in Relation zu den Stadtbewohnern sind sie unglaublich groß, sogar die kleinsten von ihnen wirken wie Godzilla oder King Kong, nur dass sie nicht alleine kommen, sondern in großen Gruppen. Ja, das ist dann gefährlich, für die Bewohner genauso wie für die Bauwerke, die sie errichtet haben, weil Godzilla und King Kong nicht gerade vorsichtig sind. Aber nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei und sie ziehen sich zurück. Sie, die Rehe und Hirsche und Kitze.

Und wenn sie weg sind, wird es wieder ruhig in SummCity. Gut versteckt, nördlich der Hohen Tauern, tief in den Wäldern des Salzburger Pongaus, liegt diese Stadt, die wir für diese WALD-Ausgabe entdecken wollen, und in ihr entscheidet sich die Zukunft ganzer Völker und vielleicht sogar ihr Überleben. Hierher kommen nämlich zukünftige Bienenköniginnen, um es sich noch einmal so richtig gut gehen zu lassen, bevor es ernst wird. Ernst mit dem Königinnen-Sein, mit dem Nachwuchs und mit dem Regieren eines eigenen Volkes. Hier werden die zukünftigen Koalitionen geschmiedet, hier sind taktisch klug arrangierte Ehen der Regelfall. Und man kann eigentlich mit Recht sagen: Wer es in SummCity schafft, der schafft es überall. Das macht den Reiz dieses Ortes aus: Denn wer zu diesem Zweck nur vom engsten Hofstaat begleitet nach SummCity kommt, ist nicht irgendeine Biene, sondern die Dunkle Biene. Eine Seltenheit. In Österreich soll es nur noch knapp 800 Völker geben, in vielen Teilen Europas ist sie ganz verschwunden. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da war die Dunkle Biene die führende Bienenart in Europa, zumindest nördlich der Alpen. Noch zu Beginn 20. Jahrhunderts waren die meisten Bienen in diesen Zonen nicht schwarz-gelb, sondern schwarz-dunkelbraun gestreift, waren alle etwas größer und mit einem etwas breiteren Hinterteil ausgestattet – und hart im Nehmen. Bestens an die Alpen und den langen Winter angepasst. Dann aber wurden die Carnica-Bienen forciert und die Ursprungsbienen weitestgehend verdrängt. So weit, dass sie nun vom Verschwinden bedroht sind, und wenn das tatsächlich geschehen sollte, dann wird SummCity so etwas wie das Atlantis der Bienengeschichte. Noch aber besteht die Hoffnung, dass sich das Schlimmste verhindern lässt. Weil hier, über etwa zehn mobile Hotels verteilt, neue, reinrassige Königinnen entstehen – und mit ihnen die Voraussetzung für neue, überlebensfähige Völker.

Zugegeben, auf den ersten Blick sieht man der Stadt ihre Bedeutung gar nicht an. Von Pomp und Üppigkeit der Weltmetropolen fehlt hier jede Spur und nach elegantem, royalem Luxus sieht es nur wenige Sonnenstunden lang aus, wenn gerade alle Geschäfte geöffnet sind, wenn die Stadt in voller Blüte steht. Auch die Hektik, wie man sie von Boom-Städten kennt, ist hier nicht besonders ausgeprägt. Eher fühlt es sich an wie in hochalpinen Kurorten: Erst wenn man genauer hinsieht, wenn man sich in das Gewirk der Gassen und Straßen begibt, merkt man, dass sich hier doch einiges tut. Dass sich in den großen und weniger großen Häusern, die von weiter weg wie eine einzige Fläche aussehen, kleine, fleißige Industrien und Gewerbe gebildet haben.

Wer nach SummCity kommt, muss sich also erst einmal orientieren, seinen Blick an die Gegebenheiten anpassen. Das Rathaus etwa täuscht eine überdimensionierte Verwaltung vor, ist aber meistens verwaist. Und die Baum-Fels-Moos-Kirche hilft mehrheitlich nur dabei, sich gut in SummCity zurechtzufinden. Schnell liegen die Vorzüge, die diese Stadt gerade für Herrscherinnen-Dynastien auf Zukunftssuche bietet, aber auf der Hand: das hohe Maß an Sicherheit zum Beispiel, die Lebensqualität, die enorm vielfältige und reichhaltige Gastronomie sowie die absolute Ruhe, weil sämtliche andere Bienenvölker Kilometer weit weg sind und daher nicht stören. Also: Nicht jede Bienendrohne jeder Art kann ihnen hier Avancen machen, sondern nur einige wenige, zuvor ausgewählte.

In SummCity ist man nämlich gerne unter sich. Es geht hier also auch um Diskretion. Sie ist hier, das merkt man schnell, so etwas wie Ehrensache. Das liegt schon allein an der Lage: Lange gab es hier einfach Baumberge, dann haben Menschen einen kleinen Teil des Holzes herausgeschlagen. Die übrig gebliebene Schlagfläche ist das, worüber sich heute das Stadtgebiet erstreckt. Es war einfach zu verlockend: Eine gut geschützte Lichtung im Wald, der Kleinarlbach in unmittelbarer Nähe und die totale Abgeschiedenheit des Pongaus. Hierher verirren sich Menschen nicht so schnell, hier tut sich auch sonst nicht gigantisch viel, vom Fuchs war schon lange nichts mehr zu sehen und der Buntspecht, der den Bienen sonst gerne mal die Brut klaut, hat sich auch recht gut im Griff. Der Sicherheitsfaktor ist für Bienen ganz schön wichtig geworden, seit ihnen Umwelteinflüsse das Überleben schwermachen. 

Über die Zeit haben aber nicht nur die Bienen die Vorteile der Stadt für sich entdeckt. Alles Mögliche hat sich hier angesiedelt und niedergelassen, was den Ort für die Dunkle Biene sogar noch attraktiver macht. Erdbeerfabriken zum Beispiel, Himbeer- und Brombeerhersteller, jede Menge Grasfirmen, die in erster Linie Sauerstoff produzieren. Grüne Farnhöfe sind entstanden, ganze Buschhäuser und Kräuter­meilen sind hinzugekommen, und unermüdlich baut die Stadt weiter an sich. Allen Widrigkeiten zum Trotz, denn nicht nur in diesem Jahr war hier der Winter hart und lang. Wer sich hier niederlässt, muss sich für durchschnittlich sechs Monate Schnee rüsten, für ein halbes Jahr Stillstand. Das ist also kein Ort für Schönwetter-Unternehmer, für Sonnenfetischisten oder Warmduscher. Das ist ein Ort für Bewohner, die sich diesen Herausforderungen stellen, und für Besucher wie die Dunkle Biene, für die dieses Klima sowieso der Normalzustand ist.

Sogar im Windwurfviertel, wo bei der Katastrophe 2002 nur mehr die Fundamente der Häuser übrig blieben, wird es nun langsam wieder lebendig. Erste Gräser und Moose haben sich bereits wieder in den steilen Hang gewagt, in den aus dem Boden hochgefahrenen Baumwurzeltellern haben einige Käfer und Insekten billigen Wohnraum gefunden.

Detroit
Geschaefte

In SummCity hat sich also eine perfekt an den widrigen Standort angepasste Industrie entwickelt, die besonders nachhaltig aufgestellt ist. Ein Geschäft nach dem anderen hat eröffnet, und mit dem Ahorn-Tower ist die Stadt für die Bienen zu einem richtigen Finanzplatz geworden: Hier lässt sich schnelles Gold machen, hier bekommen sie alles, was sie brauchen, und zwar zu vernünftigen Preisen, weil sie die Such- und Transportkosten auf ein Minimum beschränken können. Vorausgesetzt natürlich, die Rehe und Hirsche waren nicht schneller und haben noch ein paar der Knospen übrig gelassen.

Dass SummCity brummt, zeigt auch der rege Zuzug. Die Ameisen sind zum Beispiel gekommen und haben eine eigene Kolonie gegründet, die im Volksmund Antville heißt, das Ameisen-Dorf. Mit den Bienen teilen sie ja ein paar Gemeinsamkeiten: Beide sind sogenannte Superorganismen, was nichts anderes heißt, als dass jedes Einzeltier ziemlich genau nichts ist ohne die anderen seines Volkes. Nur gemeinsam können sie überleben. Während etwa die ältesten Bienen für Futter sorgen, kümmern sich die jüngeren um die Brut, andere halten die Häuser sauber, bauen die Waben oder checken, wann es Zeit für eine neue Königin ist. So ähnlich ist es bei den Ameisen auch, sie sind nur ein bisschen anders ausgerichtet. Sie naschen lieber in Bodennähe, leben lieber am Freilufthügel als im Hotel und ihre Straßen legen sie am Boden durch die Stadt. Den Bienen kommen sie dabei eigentlich nie in die Quere, weshalb das Zusammenleben in SummCity auch so gut funktioniert.

Das gilt auch für die Wühlmäuse, die der Stadt unermüdlich eine U-Bahn bauen. Immer wieder müssen deshalb Sauerstoffhersteller den U-Bahnausgängen weichen, die Wühler gehen dabei nicht gerade zimperlich vor. Ihre Bauschutthügel verleihen der Stadt aber eine neue Struktur und gute Sonnenlagen für Zuzügler. Dazu zählen jede Menge an Käfern und anderen Insekten, es gibt ein ziemlich großes Kreuchen und Fleuchen, und auch das hat mit einer der Hauptattraktionen der Stadt zu tun: der unglaublichen Auswahl an Restaurants.

Gerade wegen der Abgeschiedenheit wird hier eine Vielfalt geboten, wie man sie von herkömmlichen Wiesenstädten fast gar nicht mehr kennt. Geöffnet haben die Restaurants von Mai bis Oktober, allerdings wechselt das Angebot der Pop-up-Läden ständig. Sie legen sich jedoch ziemlich ins Zeug, um mit geschicktem­ Marketing Gäste anzulocken. Vor allem die Bienen, die ja mit jedem Besuch dafür sorgen, dass die Restaurants erstens heil und ganz bleiben (was dem Wild und vielen Käfern ja nicht immer gelingt) und sie sich zweitens sogar dauerhaft vermehren können. Deshalb setzen sie Design, Duft und die ausgeklügeltsten Farbcodes ein, deren Highlights so gestaltet sind, dass sie fast nur Bienen sehen können. Momentan wird etwa das Haus zur Sumpfdotterblume stark frequentiert, das Gasthaus Germer ist ein absolutes Muss und was das Restaurant Geflecktes Knabenkraut und sein Nachbar, das Wald-Greiskraut, kredenzen, gilt unter Bienen ebenfalls als vorzüglich. Vieles davon ist in Österreich nur mehr äußerst selten zu bekommen, dem Menschen bleiben diese Restaurants deshalb verwehrt.

FinancialTower
Friedhof

Wo mehrmals am Tag so viel gegessen wurde, muss auch getrunken werden, und auch in diesem Punkt zeigt sich die Einzigartigkeit der Lage SummCitys: das Naherholungsgebiet am Kleinarlbach ist ein weiterer Grund, warum der etwa dreiwöchige Aufenthalt für Gäste wie die Dunkle Biene hier ausgesprochen angenehm sein kann. Dazu trägt auch das Vergnügungsviertel bei. Was in vielen Städten der Welt über Jahrhunderte der Fall war, gilt hier immer noch: Die wesentlichen Dinge werden nicht am Verhandlungstisch entschieden, sondern an den Orten, über die man nicht so gerne öffentlich spricht. Deren Adresse man nicht unbedingt kennt. So hat auch SummCity seine Geheimnisse, und die spielen sich irgendwo in der Luft über dem Vergnügungsviertel ab. Hier liegt der Schlüssel zu SummCity und diesem Ort der Zukunft der Dunklen Biene. Denn hier treffen dann die wenigen geschlechtsfähigen weiblichen Bienen auf die schon lange wartenden Drohnenschwärme, die extra für sie ausgewählt und nach SummCity chauffiert worden sind. Die jung­fräulichen Königinnen verlassen ihr Hotel nach etwa einer Woche, immer für ein paar Minuten, manchmal sogar für bis zu einer Stunde. Sie machen diesen Hochzeitsflug so oft und mit so vielen Drohnen, bis ihre Samenvorratsblase voll ist. Aber nur ein Zehntel davon wird jede schlussendlich aus SummCity mitnehmen, wenn ihr Besuch zu Ende ist und sie von Imkern als Königin für ein neues Volk eingesetzt wird.

Wie überall liegen auch in SummCity das Leben und das Sterben sehr nahe beieinander: Die Drohnen sterben bei der Begattung, ihre Leichen bleiben in der Stadt zurück, sie sind für die Zukunft ihrer Völker gestorben. Wo genau, das gibt diese diskrete Stadt nicht jedem preis. Nur wer die bei der Paarung aus­geschütte­ten Pheromone wahrnehmen kann, wird diese Orte finden. 

Für IHR Wissen und IHRe Zeit danken wir: Alois Reiter, der sich seit rund 50 Jahren für die Dunkle Biene einsetzt. Seit 1999 bringt der Imker mit seiner Zuchtgruppe die Dunkle Biene in den Jägerwald bei Kleinarl, wo SummCity liegt, um dort in wenigen Wochen Königinnen zu züchten. Sepp Fritzenwallner ist als Revierleiter Kleinarl der Österreichischen Bundesforste für das Gebiet zuständig. Das allgemeine Verhalten der Bienen erklärte uns Thomas Schmickl, der an der Karl-Franzens-Universität Graz zu Bienen, Schwärmen und Robotern forscht.

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Martina Bachler
hat in ihrem Leben noch nie SimCity gespielt und musste erst überzeugt werden, dass man die Wiese in Kleinarl durchaus damit vergleichen kann. Von Illustrator­ Jonas Geise kann man das nicht behaupten.

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